Von hyperlinks: Martin Hendges, Chef der Kassenzahnrztlichen Bundesvereinigung (KZBV), Andreas Gassen, Chef der Kassenrztlichen Bundesvereinigung (KBV), und Gabriele Regina Overwiening, Prsidentin der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbnde (ABDA) /image alliance, Soeren Stache
Berlin Die Spitzen der freien Heilberufe appellieren mit einem Notruf an die Bundesregierung, so schnell wie mglich einen Kurswechsel in der Gesundheitspolitik zu vollziehen. Ansonsten werde schon sehr bald eine sprbare Verschlechterung der flchendeckenden Gesundheitsversorgung eintreten, hie es heute.
Schon im kommenden Frhjahr knne es zu sprbaren Einschrnkungen in der ambulanten Versorgung kommen, warnte Andreas Gassen, Vorsitzender der Kassenrztlichen Bundesvereinigung (KBV), vor Journalisten in Berlin.
Erstmals haben sich KBV, Kassenzahnrztliche Bundesvereinigung (KZBV) und Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbnde (ABDA) gemeinsam an die ffentlichkeit gewandt, um in einem dringenden Appell auf die aus ihrer Sicht mehr als schwierige Lage der freiberuflichen Heilberufe hinzuweisen.
Wir erleben im Second ein Ausma an Frust und Wut, wie wir es noch nie gesehen haben, erklrte Gassen. Selbst whrend der Coronapandemie sei die Stimmung unter den niedergelassenen rztinnen und rzten besser gewesen als heute. Aktuellen KBV-Umfragen zufolge bewerte mehr als die Hlfte von ihnen die eigene Scenario als schlecht.
Die KBV werde deshalb nun eine neue Befragung starten, kndigte Gassen an. Seit heute schreibt das Zentralinstitut der kassenrztlichen Versorgung (Zi) deshalb alle Praxisinhaber mit der Bitte um Teilnahme an: Es soll eruiert werden, wie die Inhaber persnlich den derzeitigen Alltag in der Praxis erleben und wie sie ihre berufliche und wirtschaftliche Scenario bewerten.
Wir sehen, dass die Versorgung an die Wand gefahren wird, teils aus Unwissen, teils aber auch absichtlich, erklrte Gassen heute. Die Probleme sind seit langem bekannt, wrden aber nicht nur nicht angegangen, sondern durch aktuelle Gesetzgebung teils noch verschlimmert: berbordende Brokratie, unzureichende Vergtung, Fachkrftemangel, eine Digitalisierungspolitik, die sich nicht an den Bedrfnissen der Heilberufler orientiert, sondern ihre Arbeit erschwert.
Hinzu kme ein Mangel an Verstndnis fr eine prventive Versorgung, wie der KZBV-Vorstandsvorsitzende, Martin Hendges, erklrte. Die Wiedereinfhrung der Budgetierung im zahnrztlichen Bereich durch das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) htten schon jetzt verheerende Folgen fr die zahnrztliche Patientenversorgung, insbesondere fr die neue, prventionsorientierte Parodontitistherapie.
Parodontitis ist eine komplexe Entzndungserkrankung des Menschen und steht in direkter Wechselwirkung mit Diabetes mellitus und nimmt zudem Einfluss auf weitere schwere Allgemeinerkrankungen, erklrte er. Im Sinne einer prventionsorientierten Patientenversorgung ist es zwingend erforderlich, die Leistungen der Parodontitistherapie von der Budgetierung noch in diesem Jahr auszunehmen!
Eine Folge der Politik sowie eines Sparwahns der Krankenkassen seien auch die weiter zunehmenden Arzneimittellieferengpsse, erklrte ABDA-Prsidentin Gabriele Regina Overwiening. Die enorme Mehrarbeit, die die Apotheken damit htten, trotz dieser Engpsse die Arzneimittelversorgung der Patientinnen und Patienten sicherzustellen, werde nicht einmal annhernd ausreichend vergtet.
Im Auftrag der Politik wrden die Apotheken immer mehr Aufgaben in der wohnortnahen Versorgung bernehmen, whrend die Vergtung trotz steigender Kosten seit elf Jahren nicht angepasst worden sei. Infolgedessen befindet sich die Apothekenzahl im Sinkflug, sagte Overwiening. Um 20 Prozent sei die Zahl in den vergangenen Jahren gefallen, auf 100.000 Einwohner kmen in Deutschland nur noch 21 Apotheken im europischen Durchschnitt seien es 32.
Noch bedeutender ist, dass sich fr junge Apotheker die bernahme oder Neugrndung nicht mehr lohnt, unterstrich sie. Nicht nur sei das Honorar von den vergangenen Bundesregierungen nicht angepasst worden. Die jetzige Regierung hat es sogar gekrzt.
Keine Gesprche mglich
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) drohe mit seiner Politik nicht nur die flchendeckend niedrigschwellige Versorgung zu zerstren, sondern gefhrde gleichzeitig eine mittelstndisch geprgte Struktur, die fr rund eine Million wohnortnahe Arbeitspltze stehe und einen sozialen Stabilittsfaktor darstelle.
Gassen, Hendges und Overwiening lieen keinen Zweifel daran, dass sie Lauterbach dabei nicht mehr als den richtigen Ansprechpartner sehen. Er verweigert sich letztlich dem inhaltlichen Diskurs, kritisierte Gassen. Fr Anliegen und Argumente der Standesvertretungen sei er nicht zugnglich.
Man knnte sich ja mal hinsetzen und ein konstruktives Gesprch fhren, aber das findet nicht statt, klagte er. Stattdessen wrde Lauterbach Standesvertreter mit Pseudogesprchen zum Kronzeugen angeblicher Absprachen machen.
Auch Overwiening die erst vor wenigen Tagen zu einem zweistndigen Gesprch bei Lauterbach geladen struggle gab diese Einschtzung wieder: Der Minister habe sich zwar alles angehrt und dann damit geschlossen, dass er das mitnimmt, erzhlte sie. Das ist aber kein Austausch.
Es gehe deshalb auch darum, Lauterbach und seine Behauptungen zu enttarnen: So habe er beispielsweise stets versprochen, dass es unter ihm keine Leistungskrzungen geben werde. Genau das geschehe aber derzeit. Schon bald werde sich das eindeutig und sprbar zeigen, wenn beispielsweise mehr und mehr rzte aus wirtschaftlichen Grnden aus der Versorgung austreten oder ihre Leistungen einschrnken, erklrte Gassen: Das wird zgig geschehen.
So liege die durchschnittliche Budgetierungsquote bei sieben bis zehn Prozent. Wirtschaftlich vertretbar wre es dann eigentlich, jede zehnte Leistung nicht zu erbringen, sagte Gassen. Auch wegen solcher Regulierungen wrden junge rzte die bernahme oder Grndung einer eigenen Praxis heute vor allem als groes wirtschaftliches Risiko wahrnehmen.
Deshalb habe das Bndnis den Weg an die ffentlichkeit gewhlt. Es brauche eine Sensibilisierung der Patienten fr das, was gerade geschieht, forderte Overwiening. Da mit Lauterbach kaum noch eine konstruktive Zusammenarbeit zu erwarten sei, wrden sie sich direkt an Bundeskanzler Olaf Scholz wenden, hier endlich kraft seiner Richtlinienkompetenz einzuschalten. Scholz werde einen Temporary von uns bekommen, in der Hoffnung, dass er ihn auch erhlt, kndigte Gassen an.
Untersttzung kam heute aus Bayern. Der eindringliche Appell der rzte, Zahnrzte und Apotheker ist ein deutlicher Hilferuf, sagte Bayerns amtierende Gesundheitsministerin Ulrike Scharf. Die Bundesregierung drfe nicht einfach zur Tagesordnung bergehen und das ignorieren.
rzte, Zahnrzte und Apotheker bentigten ein solides finanzielles Fundament und entsprechende Voraussetzungen. Wir brauchen stabile Praxen und Apotheken, keine teuren Parallelstrukturen wie Gesundheitskioske. Die finanziellen Mittel der gesetzlichen Krankenversicherung mssen dort eingesetzt werden, wo die medizinische und pharmazeutische Versorgung der Bevlkerung stattfindet, sagte sie.
Lauterbach reagierte auf die Kritik auf einer Veranstaltung der Bundesrztekammer zum Thema Knstliche Intelligenz: Er wolle doch noch etwas zu einer Pressekonferenz sagen, auf der ein Klagelied gegen unsere Gesundheitspolitik angestimmt werde. Es sei zwar angemessen, wenn man Kritik uere. Der Minister wies aber daraufhin, dass man Beitragssatzstabilitt erreicht habe. Dafr wolle er sich bei der rzteschaft bedanken.
Er kndigte erneut die Entbudgetierung der Hausrzte an, die mit einer Entbrokratisierung verbunden werden msse. Weiter verwies er auf die zustzlichen 5.000 Medizinstudienpltze, die er gemeinsam mit den Lndern auf den Weg bringen wolle.
Auf die von rztlicher Seite gebte Kritik zu seinem Vorhaben, in Apotheken Screeningverfahren zuzulassen, entgegnete er, dass in diesen Fllen Apotheker in keinem Fall eine rztliche Funktion bernehmen sollten. Es sei nur eine niedrigschwellige Vorfelduntersuchung geplant. Sollten dabei auffllige Werte auftreten, wrden die Patienten der rztlichen Versorgung zugeleitet, sagte Lauterbach. © lau/mis/aerzteblatt.de