Noch zu Beginn des Jahres 2022 sind Immobilienkredite zu Zinssätzen von weniger als einem Prozent abgeschlossen worden. Wer damals unterzeichnete, wird mittlerweile manches Mal gedacht haben: „Glück gehabt.“ Denn kurz darauf schossen die Zinsen in die Höhe. Die Zinsgewinner können nun ein weiteres Mal profitieren. Rein mathematisch macht es keinen Sinn, solch günstige Kredite zu tilgen, während gleichzeitig das Geld zu 4 Prozent angelegt werden könnte. Solche Zinsarbitrage ist das täglich Brot vieler Banker. Privatleute sind damit ungeübt. Doch die Zeiten sind besonders, die abrupte Zinswende eröffnet neue Möglichkeiten. Mehrere Tausend Euro Zinsgewinn sind möglich.
Nehmen wir an, die Restschuld eines Immobilienkredits betrage 300.000 Euro, und die monatliche Price aus Zins (1 Prozent) und Tilgung (4 Prozent) 1250 Euro. Läuft alles regular weiter, so hat es der Kreditvermittler Interhyp für die F.A.Z. errechnet, fallen binnen zwei Jahren 5891 Euro Zinsen an, und knapp 25.000 Euro werden getilgt. Wenn nun aber die Tilgungsrate von vier auf ein Prozent gesenkt wird, kostet der Kredit nur noch 500 Euro im Monat und die frei werdenden 750 Euro können angelegt werden.
Als Orientierungspunkt kann der Einlagenzinssatz der Europäischen Zentralbank (EZB) von derzeit 4 Prozent dienen. Mit niedrigerer Tilgung müssen für den Immobilienkredit mit 6065 Euro etwas mehr Zinsen gezahlt werden, weil die Kreditsumme höher bleibt. Dafür werden 24 Monate lang je 750 Euro angelegt, sodass 18.000 Euro plus 757 Euro Zinsen angespart werden. Unterm Strich bleiben nach zwei Jahren 583 Euro Zinsgewinn. Ob für solch eine Summe der Aufwand lohnt, muss jeder selbst beurteilen.
Flexibilität des Vertrages nötig
Die Beträge können jedoch auch höher ausfallen. Nehmen wir zum Beispiel statt nur zwei Jahren noch acht Jahre mit niedrigem Zins im Kreditvertrag an. Dann ergibt die Zins- und Zinseszinsrechnung einen Gewinn von 9789 Euro. Ein Betrag, für den eher mancher Kreditnehmer bereit sein könnte, aktiv zu werden. Auch für höhere Kreditsummen und höhere Tilgungsraten ergeben sich Möglichkeiten, mehrere Tausend Euro zu sparen, dem Zinsumfeld sei Dank.
Es folgen allerdings Einschränkungen. Zum einen muss der Kreditvertrag die Möglichkeit der Tilgungssatzänderung vorsehen. „In der Niedrigzinsphase wurde meistens eine Mindesttilgung von 2 Prozent festgeschrieben, ein Prozent hatten die ING und wenige andere, es conflict aber eher die Ausnahme“, sagt Max Herbst, Geschäftsführer der FMH Finanzberatung und langjähriger Beobachter des Zinsmarktes.
Zweitens ist die Disziplin nötig, die eingesparte Tilgung auch wirklich anzulegen und nicht für anderweitige Zwecke auszugeben, so groß die Verlockung auch sein magazine. Ansonsten kann die Anschlussfinanzierung des Kredits sehr unangenehm werden. Denn es wurde dann nicht nur weniger getilgt. Es sollte auch davon ausgegangen werden, dass der neue Kreditzins dann nicht mehr ein Prozent, sondern wahrscheinlich eher 3 oder 4 Prozent betragen wird.
Zinsprognose ist schwierig
Ein wichtiger Aspekt, damit die Rechnung aufgeht, ist die Kalkulation der Habenzinsen. Die sind ungewiss. Heute bieten Geldmarktfonds die 4 Prozent, die von der EZB an Banken auf Einlagen gezahlt werden, abzüglich Gebühren. Senkt die EZB aber die Zinsen, geht die Verzinsung zurück. Das gilt in ähnlicher Weise für Tagesgeldzinsen, die allenfalls für wenige Monate garantiert sind. Mit Festgeld lässt sich länger kalkulieren. Hier gibt es aktuell durchaus noch Angebote von 3,5 Prozent aufwärts.
Doch die Krux bei der reduzierten Tilgung ist, dass monatlich ein neuer Betrag, in unserem Beispiel 750 Euro, angelegt werden muss. Selbst wenn für die 750 Euro heute eine gute Anlage zu 4 Prozent gefunden wird, ist es höchst unsicher, ob das in einem Jahr oder in zwei oder gar fünf immer noch der Fall ist. Die höchsten Renditen bietet langfristig der Aktienmarkt. Doch mit Geld, das absehbar zur Kredittilgung vorgesehen und nötig ist, sollte nicht spekuliert werden.
„Da sich das Zinsumfeld auch schnell wieder ändern kann, ist es wichtig, in den Kreditvertrag zu gucken, wie die Sondertilgungs- und Volltilgungsoptionen sind, damit in verändertem Zinsumfeld auch wieder mehr Geld in die Tilgung fließen kann“, sagt Herbst. Vom Kreditvermittler Interhyp heißt es: „Es gibt durchaus Kunden mit entsprechenden Verträgen, die im aktuellen Zinsumfeld eine Tilgungsreduzierung in Betracht ziehen und auch umsetzen.“
Sondertilgung lohnt nicht
Frank Lösche, Spezialist für Baufinanzierung bei Dr. Klein, macht die Beobachtung: „Ob beziehungsweise wann sich das rechnet, ist für viele Kunden nicht ausschlaggebend. Sie wollen vielmehr schnell ihre Verbindlichkeiten loswerden, sprich schuldenfrei sein. Für sie ist es daher gar nicht von Interesse, die Tilgung runterzusetzen, selbst wenn dem Vorgehen vertraglich nichts um Wege stünde.“
Was sich im aktuellen Umfeld aber eindeutig nicht rechnet, sind größere Sondertilgungen zinsgünstiger Kredite. Wer immer gerade viel Geld zur Kredittilgung übrig hätte, sollte das Geld lieber zu höheren Zinsen anlegen. Der deutsche Staat bietet in seinen Anleihen für zwei Jahre 2,9 Prozent und für fünf Jahre 2,5 Prozent sichere Rendite. Manche Banken bieten für Festgeld dieser Laufzeiten mitunter aber auch deutlich mehr.
Die Hoffnung, eine Prämie von der Financial institution zu erhalten, wenn man die für die Financial institution derzeit oft unattraktiven Kredite mit niedrigen Zinsen frühzeitig tilgt, trügt indes. Zwar fällt in der Regel keine Vorfälligkeitsentschädigung an, weil die Financial institution durch die Tilgung Gewinne erzielt, da sie das Geld zu höheren Zinsen weiterverleihen oder anlegen kann. Die Gewinne durch die Tilgung muss sie aber nicht mit den Kunden teilen, und das tun die Banken nach Beobachtung aller Fachleute auch nicht. Die Tilgung ohne Vorfälligkeitsentschädigung und aktuell mehr Kulanz der Banken, vorzeitigen Tilgungen zuzustimmen, sind das höchste der Gefühle für die Schuldner.